Jetzt also doch – Finanzverwaltung äußert sich zur Rückwirkung der Rechnungskorrektur

Im September 2016 hatte der Europäische Gerichtshof ein wegweisendes Urteil zur Rückwirkung der Rechnungskorrektur für Zwecke des Vorsteuerabzugs gefällt. Der Bundesfinanzhof hatte sich einen Monat später im Wesentlichen dieser Rechtsprechung angeschlossen. Die Finanzverwaltung hat nunmehr ihr Verständnis zur rückwirkenden Rechnungsberichtigung dargelegt.

1. Hintergrund

 

Für Zwecke des Vorsteuerabzugs muss der Leistungsempfänger nach § 15 (1) Nr. 1 Umsatzsteuergesetz im Besitz einer ordnungsgemäßen Rechnung sein. Ist die Rechnung fehlerhaft oder unvollständig, muss sie für Zwecke des Vorsteuerabzugs berichtigt werden. Nach der älteren Rechtsprechung und der darauf gestützten Verwaltungsauffassung war der Vorsteuerabzug dann erst mit der Zustellung der korrigierten Rechnung möglich, d. h. sie wirkte nicht zurück in den Zeitraum der Leistungserbringung. Wurde Vorsteuer (irrtümlich) auf Grundlage einer fehlerhaften oder unvollständigen Rechnung gezogen, hatte dies i.d.R. die Entstehung von Steuerzinsen i.S.d. § 233a Abgabenordnung (AO) zur Folge.

 

Diese Beurteilung hat der EuGH im Senatex-Urteil in 2016 für rechtswidrig erklärt und stattdessen entschieden, dass eine Rechnungskorrektur unter weiteren Voraussetzungen auf den Zeitpunkt zurückwirkt, zu dem das Recht auf Vorsteuerabzug erstmals entstanden ist (d.h. den Zugang der ursprünglichen / ersten Rechnung). In der Folge gab es weitere EuGH- und BFH-Urteile, die sich mit der Frage des Vorsteuerabzugs trotz gänzlich fehlender Rechnung bzw. mit den Mindestanforderungen an (rückwirkend) berichtigungsfähige Rechnungen beschäftigten.

 

2. BMF-Schreiben vom 18.09.2020

 

Auf immerhin 13 Seiten greift das nunmehr vorliegende BMF-Schreiben die ergangene Rechtsprechung auf und definiert den Zusammenhang zwischen Rechnungskorrektur und Vorsteuerabzug.

 

Folgende Kernaussagen sind hervorzuheben:

 

(1) Der Besitz einer Rechnung ist weiterhin formelle und materielle Voraussetzung für die Ausübung des Vorsteuerabzugs (d.h.: ohne Rechnung kein Vorsteuerabzug).

 

(2) Erfüllt eine Rechnung nicht die formellen Voraussetzungen des § 14 UStG und wird sie auch nicht berichtigt, ist der Vorsteuerabzug nur unter strengen Voraussetzungen zu gewähren. Die Finanzverwaltung muss in der Lage sein, die Erfüllung der materiellen Voraussetzungen zu überprüfen. Der Steuerpflichtige hat die Beweislast, die Finanzverwaltung muss fehlende Informationen nicht von sich aus ermitteln.

 

(3) Eine Rechnungsberichtigung einerseits bzw. die Stornierung und Neuausstellung einer Rechnung andererseits sind gleichwertige Alternativen zur Erlangung des rückwirkenden Vorsteuerabzugs.

 

(4) Auf die Rechnungsberichtigung kann nicht aus Vereinfachungsgründen verzichtet werden (der Leistungsempfänger kann also den Vorsteuerabzug nicht allein dadurch rechtfertigen, dass er darlegt, er könne eine berichtigte Rechnung „notfalls“ anfordern).

 

(5) Rückwirkung kann eine Berichtigung nur dann entfalten, wenn die ursprüngliche Rechnung folgende Mindestangaben enthält: zum Leistenden, zum Leistungsempfänger, zur Leistungsbeschreibung, zum Entgelt und zur gesondert ausgewiesenen Umsatzsteuer. Die Berichtigungsfähigkeit betrifft also Fälle, in denen die vorliegenden Angaben zwar ungenau, aber grundsätzlich zutreffend sind. Das BMF-Schreiben nennt folgende Beispiele

 

  • falsche Rechtsform des Leistungsempfängers;
  • Bezeichnung der von einem Rechtsanwalt erbrachten Leistung als „Beratung“ (aber: die Leistungsbezeichnung „Produktverkäufe“ wird vom BMF als zu allgemein angesehen und kann nicht rückwirkend korrigiert werden),
  • fehlendes Nettoentgelt, wenn es ohne weiteres aus angegebenem Brutto- und Steuerbetrag ermittelt werden kann,
  • irrtümliche Anwendung der Steuerschuldumkehr.

 

(6) Fehlt hingegen eine der Pflichtangaben gänzlich, dann wirkt die Korrektur der Rechnung zeitlich nicht zurück – der Vorsteuerabzug kann dann wie schon bisher erst mit der (erstmalig anzuerkennenden) korrigierten Rechnung geltend gemacht werden. Hier nennt das Schreiben folgende
Beispiele:

 

  • fehlender Steuerbetrag (selbst wenn dieser aus den Angaben zum Bruttobetrag und Entgelt ermittelt werden kann),
  • erstmaliger Steuerausweis z.B. weil in der ersten Rechnung irrtümlich eine Steuerbefreiung oder Nichtsteuerbarkeit unterstellt wurde, letzteres betrifft z.B. die (verunglückte) Geschäftsveräußerung im Ganzen bzw. die (verunglückte)
    Organschaft,
  • zu niedriger Steuerausweis (z.B. weil irrtümlich der ermäßigte Steuersatz zugrunde gelegt wurde) – die Steuerdifferenz
  • kann demzufolge erst geltend gemacht werden, wenn die korrigierte Rechnung vorliegt.

 

(7) Die Rückwirkung einer Rechnungsberichtigung gilt auch, wenn sie zum Nachteil des Leistungsempfängers wirkt. Dies ist z.B. bedeutsam für das fristgebundene Vergütungsverfahren für im Ausland ansässige Unternehmen – wurden bislang Rechnungen wegen formeller Fehler zurückgewiesen, konnte auf Basis korrigierter Rechnungen (mit aktuellem Datum) ein neuer Vergütungsantrag gestellt werden. Dies ist nun nicht mehr möglich. Antragsteller müssen daher darauf achten, dass abgelehnte Anträge mit Einspruch angefochten und offen gehalten werden, bis korrigierte Rechnungen vorliegen.

 

(8) Die Rechnungsberichtigung soll nach Auffassung der Finanzverwaltung verfahrensrechtlich kein rückwirkendes Ereignis i. S. d. § 175 AO sein. D. h., dass ein Vorsteuerabzug vollständig verloren gehen könnte, wenn während der Korrekturphase für die Umsatzsteuerbescheide Festsetzungsverjährung eintritt, z. B. nach einer Betriebsprüfung.

 

(9) Die Finanzverwaltung gewährt für alle bis zum 31. Dezember 2020 vorgenommenen Rechnungsberichtigungen eine Übergangsfrist dahingehend, dass die darin ausgewiesene Umsatzsteuer trotz Rückwirkung im Voranmeldungszeitraum des Erhalts der Berichtigung berücksichtigt werden darf.

 

4. Bewertung und Empfehlung

 

Es ist zu begrüßen, dass sich die Finanzverwaltung der Rechtsprechung fügt und die Rückwirkung der Rechnungskorrektur prinzipiell anerkennt. In vielen Fällen dürfte sich das Problem der Steuerzinsen damit erledigen.

 

Weil aber auch in Zukunft mit Diskussionen darüber zu rechnen ist, ob eine Rechnung aufgrund fehlender oder unvollständiger bzw. ungenauer Angaben die erforderlichen Mindestangaben enthält und damit überhaupt einer rückwirkenden Korrektur zugänglich ist, ist eine sorgfältige Rechnungseingangskontrolle auch in Zukunft unabdingbar. Dies ist und bleibt wichtiger Bestandteil eines Tax Compliance Management Systems.

 

Darüber hinaus ist unbedingt darauf zu achten, dass Umsatzsteuerbescheide bei streitigen Vorsteuerbeträgen durch Einlegung eines Einspruchs änderbar bleiben, um den Vorsteuerabzug nicht endgültig zu verlieren.

 

Rechnungen bleiben insofern selbstverständlich weiterhin ein zentrales Thema der Umsatzsteuer.
Sollten Sie hierzu oder zur Einrichtung eines Tax Compliance Management Systems Fragen haben, sprechen Sie uns gerne an.

 

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Wir beraten Sie gern zu diesen und weiteren umsatzsteuerlichen Themen und freuen uns über eine Kontaktaufnahme bzw. Rückmeldung.

 

Ihr Team der

umsatz | steuer | beratung

 

Norderstedt, September 2020

Dieser Beitrag ersetzt keine steuerliche Beratung und soll nur allgemein über steuerliche Themen informieren. Wir übernehmen daher keine Gewähr und somit keine Haftung für die Vollständigkeit und Aktualität sowie Richtigkeit der Inhalte.

 

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