Umsatzsteuerliche Organschaft – quo vadis und erneuter Steuerausfall?

Wegen ihrer strengen Voraussetzungen ist die umsatzsteuerliche Organschaft immer wieder Gegenstand von Auseinandersetzungen mit dem Finanzamt. Zurzeit sind von deutscher Seite drei Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof anhängig, die die aktuelle deutsche Rechtslage erheblich durcheinanderwirbeln könnten.

1. Gesetzliche Regelung

Nach § 2 Umsatzsteuergesetz ist eine Gesellschaft als unselbständige Organgesellschaft zu behandeln, wenn sie „nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist“. Die Vorschrift basiert auf Art. 11 der EU-Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie, wonach ein Mitgliedstaat „Personen, die zwar rechtlich unabhängig, aber durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind, zusammen als einen Steuerpflichtigen behandeln“ kann.

 

2. Eingliederung von Personengesellschaften

Der Wortlaut der deutschen Vorschrift schließt die Eingliederung von Personengesellschaften als Organgesellschaften aus, weil es sich hierbei nicht um juristische Personen handelt. Basierend auf einer EuGH-Entscheidung aus 2015 lässt die Finanzverwaltung allerdings die Organschaft zu, wenn sämtliche Gesellschafter der Personengesellschaft finanziell in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert sind.

Sind einzelne Gesellschafter hingegen finanziell nicht eingegliedert, führt dies zum Ausschluss der Personengesellschaft. Dies betrifft die in der Praxis typischen Fälle der Rechtsform GmbH & Co. KG, bei denen die Haftungs-GmbH nicht am Vermögen der KG beteiligt ist und die Gesellschafter außerhalb des Organkreises stehen.

Im Rahmen eines zwischenzeitlich anhängigen Verfahrens (C-868/19) soll der EuGH nun klären, ob diese Einschränkung zulässig ist. Wenn der EuGH den deutschen Sonderweg ablehnt, könnten Personengesellschaften mit finanziell nicht eingegliederten Minderheitsgesellschaftern umsatzsteuerliche Organgesellschaften sein. Der Geltungsbereich der Organschaft würde also entsprechend erweitert.


3. Grundsätzliche Zweifel an der deutschen Organschaftsregelung

Die deutsche Regelung zur Organschaft sieht vor, dass die Organgesellschaften umsatzsteuerlich unselbständig sind und der Organträger (als ein Mitglied der Gruppe) zum Steuerpflichtigen für alle Umsätze aller Mitglieder bestimmt wird. Der Wortlaut der EU-Vorschrift lässt hingegen vermuten, dass die Gruppe als solche als ein Steuerpflichtiger zu behandeln wäre. Die Zusammenfassung mehrerer Unternehmen zu einer Mehrwertsteuergruppe impliziert also die Schaffung eines „fiktiven“ Steuerpflichtigen.

Beide Senate des Bundesfinanzhofes bitten daher den EuGH um Klärung, ob die abweichende Regelung im deutschen Recht zulässig ist. In den Vorabentscheidungsersuchen geht es dabei zunächst um die Frage, ob die Eingliederungsvoraussetzungen erfüllt sind (C-141/20, Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie mbH; der potentielle Organträger ist zwar mehrheitlich an der Tochtergesellschaft beteiligt, hat aber keine Stimmrechtsmehrheit), bzw. ob Umsätze der Tochtergesellschaft an den hoheitlichen Bereich des potentiellen Organträgers nicht steuerbare Innenumsätze sind oder vielmehr aufgrund der Verwendung für hoheitliche Zwecke der Entnahmebesteuerung unterliegen (C-269/20, Finanzamt T).
Sollte der EuGH die deutsche Organschaftsregelung verwerfen, hätte dies möglicherweise groteske Auswirkungen, weil der nach deutschem Recht bestimmte Organträger (wie in den Bauträgerfällen) zu Unrecht abgeführte Umsatzsteuer unter Berufung auf EU-rechtliche Vorgaben vom Finanzamt zurückfordern könnte. Hingegen könnte das Finanzamt die nach EU-Recht steuerpflichtige Gruppe nicht zur Umsatzsteuer heranziehen, weil es an einer entsprechenden Umsetzung im deutschen Umsatzsteuergesetz fehlt. Die jetzigen Organgesellschaften könnten sich darauf berufen, dass sie nach deutschem Recht nicht selbständig und damit auch nicht Steuerschuldner sind. Dem Fiskus droht damit ein Totalausfall.

 

4. Fazit und Empfehlung

Anhängige EuGH-Verfahren sind grundsätzlich ein Anlass, Vor- und Nachteile einer (anstehenden) Bestandskraft von Steuerfestsetzungen sorgfältig abzuwägen. Es kann gegebenenfalls sinnvoll sein, gegen Steuerfestsetzungen Einspruch einzulegen und ein Ruhen des Verfahrens bis zum Ergehen eines EuGH-Urteils zu beantragen, wenn man sich davon Vorteile verspricht.

Im Moment gehen wir davon aus, dass hinsichtlich der Eingliederung von Personengesellschaften (Punkte 2.) durchaus gute Erfolgsaussichten im EuGH-Verfahren bestehen.

Wir rechnen zwar nicht damit, dass der EuGH die deutsche Organschaftsregelung dem Grunde nach verwirft und sich dadurch sog. windfall gains für vergangene Jahre ankündigen, weil bereits abgeführte Umsatzsteuer bedingungslos vom Finanzamt zurückgeholt werden könnte. Dessen ungeachtet sollten derzeitige Organträger aber genau prüfen, ob sie ihre noch änderbaren Steuerfestsetzungen verfahrensrechtlich offenhalten sollten, um nach Ergehen der EuGH-Urteile eventuell doch erhebliche Umsatzsteuerbeträge zurück-fordern zu können.

Eine Einzelfallprüfung und –entscheidung ist in Anbetracht der Tragweite dieser Aspekte daher zu empfehlen, zumal mit den EuGH-Entscheidungen nicht ernsthaft noch in 2020 zu rechnen ist. Sprechen Sie uns daher gerne an!

 

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Wir beraten Sie gern zu diesen und weiteren umsatzsteuerlichen Themen und freuen uns über eine Kontaktaufnahme bzw. Rückmeldung.

 

Ihr Team der

umsatz | steuer | beratung

 

Norderstedt, August 2020

Dieser Beitrag ersetzt keine steuerliche Beratung und soll nur allgemein über steuerliche Themen informieren. Wir übernehmen daher keine Gewähr und somit keine Haftung für die Vollständigkeit und Aktualität sowie Richtigkeit der Inhalte.

 

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