Logistikleistungen im Zusammenhang mit Seeschiffen und Ausfuhren – neue EuGH-Entscheidungen im Widerspruch zur deutschen Verwaltungspraxis

Zwei aktuelle Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) verdeutlichen, wie anspruchsvoll die Beurteilung von Steuerbefreiungen im Bereich der Umsatzsteuer ist. Einerseits erweitert der EuGH den Umfang für Logistikdienstleistungen im Zusammenhang mit der Seeschifffahrt auf die Vor­stufen und schließt auch Leistungen an andere als Seeschifffahrtsbetreiber mit ein. Anderseits sollen Vorstufenleistungen, die mit Warenausfuhren zusammenhängen, von der Befreiung ausgenommen sein. Diese Einschränkung ist u.E. aber durchaus positiv zu sehen, weil dadurch Vorsteuerrisiken in der Leistungskette vermieden werden.

1. Beladung von Seeschiffen

Dienstleistungen, die für den unmittelbaren Bedarf von Seeschiffen oder deren Ladung er­bracht werden, sind von der Umsatzsteuer befreit. Dies gilt aber – auch nach Auffassung der deutschen Finanzverwaltung – nur für diejenigen Leistungen, die di­rekt an einen Seeschifffahrtsbetreiber (z. B. Reeder oder Bereederer) erbracht werden. Eine Befreiung auf vorherigen Stufen in der Handelskette (z. B. zwischen Fuhrunternehmen und Spediteur) ist hingegen nicht möglich.

In einem finnischen Verfahren hatte der EuGH über die umsatzsteuerliche Behandlung des Be- und Entladens von Seeschiffen zu entscheiden (Urteil vom 4. Mai 2017 – C-33/16, A Oy). Ein Spediteur (B) übernahm diese Tätigkeiten im Auftrag von Reedereien, Befrachtern und Eigentümern der Waren. B hat die Leistungen aber nicht selbst erbracht, sondern durch den unterbeauftragten A ausführen lassen.

Die finnische Steuerverwaltung hat die Befreiung für die von A an B erbrachte Leistung versagt, weil die Leis­tung nicht an Seeschifffahrtsbetreiber erbracht wurde. Der EuGH hat hingegen die Anwendung der Steuerbefreiung bestätigt, weil „Be- und Entladeleistungen in einem unmittelbaren Bezug zu den beförderten Ladungen stehen und ihre Kosten daher als solche auf die Verfügungsberechtigten dieser Ladungen abgewälzt werden können…“. Die Leistungen dienen damit auch unmittelbar dem Bedarf der Ladung des Schiffes.

Dieser Rechtsauffassung ist vollumfänglich zuzustimmen. Denn der insoweit maßgebliche Art. 148 Buchst. d) der Mehrwertsteuersystem-Richtlinie (MwStSystRL) begrenzt den Anwendungsbereich der Steuerbefreiung auf Dienstleistungen im unmittelbaren Zu­sammenhang mit der Seeschifffahrt, ohne danach zu differenzieren, ob es sich um einen Vorstufenumsatz oder um einen Umsatz direkt an den Schiffsbetreiber handelt.

Interessant ist, dass der EuGH in früheren Entscheidungen eine solche Vorstufenbefreiung aus­geschlossen hat. Begründet wurde dies u.a. damit, dass auf Vorstufen nicht unmittelbar ersichtlich ist, ob eine Leistung (letztlich) für die Seeschifffahrt bestimmt ist. Für die Finanzverwaltung würde sich daher bei Anwendung der Vorstufenbefreiung ein erheblicher Kontroll- und Überwachungsaufwand ergeben, was der Erfordernis einer korrekten und einfachen Anwendung von Steuerbefreiungsvorschriften (Art. 131 MwStSystRL) zuwiderläuft. Im Hinblick auf das Be- und Entladen sei der Zusammenhang mit dem Schiffsbedarf aber eindeutig, so dass es weiterer Kontroll- und Prüfmechanismen sind bedarf.

Überraschend ist ferner, dass der EuGH die Anwendung der Befreiung auch für den Fall bestätigt, dass der Auftraggeber kein Seeschifffahrtsbetreiber ist. In früheren Entscheidungen (z.B. EuGH vom 14. September 2006 – C‑181/04 bis C‑183/04, Elmeka und vom 26. Juni 1990 – C-185/89, Velker) wurde dies vorausgesetzt. Begründet wurde dies seinerzeit damit, dass die Umsätze den Ausfuhrumsätzen gleichgestellt sind und die Steuerbefreiung für Ausfuhren nur für endgültige Lieferungen gilt. Mithin könne die Seeschifffahrtsbefreiung nur für Leistungen an einen Betreiber von Schiffen gelten. Allerdings sind diese Entscheidungen noch zum Anwendungszeitraum der 6. EG-Richtlinie (vor 2007) ergangen. Der zu diesem Zeitpunkt maßgeblich Art. 15 Nr. 4 der 6. EG-Richtlinie stand unter der Überschrift „Steuerbefreiungen bei Ausfuhren und grenzüberschreitenden Beförderungen“. Die Überschrift der Steuerbefreiungsvorschrift des Art. 148 Buchst. d) MwStSystRL lautet hingegen: „Steuerbefreiungen bei grenzüberschreitenden Beförderungen“.

Im Ergebnis bestätigt der EuGH eine Ausweitung des Anwendungsbereichs der Steuerbefreiung für die See­schifffahrt (zusammenfassend siehe Grafik unten). Letztlich müssen wohl folgende Voraussetzungen erfüllt sein:

  • Die Leistungen müssen im Zusammenhang mit Seeschiffen stehen!
  • Eine Vorstufenbefreiung ist möglich, wenn der Zusammenhang mit den Seeschiffen korrekt und einfach nachgewiesen werden kann! Dies gilt im besonderen Maße – aber nicht nur – für Be- und Entladeleistungen.
  • Ob der Leistungsempfänger Betreiber des Seeschiffes ist, ist nicht maßgeblich.

 

Mit einer Reaktion der deutschen Finanzverwaltung ist zwingend zu rechnen, da verschiedene Stellen im Umsatzsteuer-Anwendungserlass (UStAE) abweichende Regelungen beinhalten (z. B. Abschnitt 8.1 Abs. 7 Satz 1 UStAE, wonach die Umsätze an einen Betreiber der See­schifffahrt erbracht werden müssen). Bis dahin bleibt es bei dem bekannten Grundsatz, dass sich Steuerpflichtige auf höherrangiges EU-Recht berufen können, während die Finanzverwaltung an den UStAE gebunden ist. Zu beachten ist, dass es sich um eine Steuerbefreiung ohne Optionsrecht handelt – sowohl Leistungserbringer als auch Leistungsempfänger müssen also auf eine korrekte Anwendung der Steuerbefreiung achten.

 

 

2. Logistikdienstleistungen im Zusammenhang mit der Ausfuhr

Für die Ausfuhr von Waren gilt das Bestimmungsland-Prinzip, d. h. die Waren werden bei entsprechendem Beleg- und Buchnachweis im Inland von der Umsatzsteuer befreit (Export). Gleiches gilt auch für die mit der Ausfuhr zusammenhängenden Dienstleistungen, wie z. B. Beförderung, Umschlagsleistung und Zollanmeldung.

In einem lettischen Verfahren hatte der EuGH zu entscheiden, ob die Transportleistungen eines Fuhrunternehmers gegenüber einer Spedition für einen Transport von Lettland nach Weiß­russland unter die Steuerbefreiungsvorschrift fallen (Urteil vom 29. Juni 2017 – C-288/16 – L.Č. IK). Die Besonderheit bestand darin, dass der Spediteur dem Subunternehmen auch die Fahrzeuge vermietete (siehe nachfolgende Grafik).

Logistikdienstleistungen bei Ausfuhr - Grafik

Der EuGH kommt hier zu dem Ergebnis, dass die Leistung des Subunternehmers an den Spediteur – anders als die Leistung des Spediteurs an den Versender – nicht von der Umsatzsteuer befreit ist. Dies ließe sich aus Art. 146 Abs. 1 Buchst. e) MwStSystRL ableiten, wonach Leistungen nur dann befreit sind, wenn sie in unmittelbarem Zusammenhang mit der Ausfuhr oder der Einfuhr von Gegen­ständen stehen. Eine Ausweitung auf die Vorstufen würde Art. 131 MwStSystRL widersprechen, weil zusätzliche Kontroll- und Überwachungsmechanismen erforderlich wären, die einer einfachen und korrekten Anwendung des Mehrwertsteuerrechts widersprechen.

Unmittelbare Auswirkungen auf die deutsche Besteuerungspraxis ergeben sich zunächst nicht. Denn die entsprechende Befreiungsvorschrift in § 4 Nr. 3 Buchst. a) Doppelbuchst. aa) Umsatzsteuergesetz (UStG) erfasst Leistungen, die sich „unmittelbar auf Gegenstände der Ausfuhr“ beziehen. Diese Voraussetzungen wären in dem vom EuGH entschiedenen Fall erfüllt, wobei es gerade nicht darauf ankommt, ob es sich um einen Vorstufenumsatz handelt.

Fraglich ist, ob letztlich eine weite Anwendung der Befreiung oder eine enge Auslegung besser ist. Für die in der Transport­kette involvierten Beteiligten – z. B. Lageristen, Fuhrunternehmer, Dienstleister im Bereich Umschlag – ist oftmals der Nachweis schwierig, dass ihre Leistungen im Zusammenhang mit (letztlich) ausgeführten Gegenständen stehen. Im Zweifel wird deshalb unter Ausweis von Steuer abgerechnet. Die Leistungsempfänger haben hingegen ein Vorsteuerrisiko, wenn Umsatzsteuer zu Unrecht berechnet wurde. Die Steuerbefreiung „krankt“ insofern an der Tatsache, dass der Leistungserbringer über ihre Anwendung entscheiden muss, obwohl die entsprechende Kenntnis hinsichtlich der Voraussetzungen beim Leistungsempfänger gegeben ist. Insoweit wäre eine Anpassung des deutschen Umsatzsteuergesetzes an die Rechtsauffassung des EuGH durchaus zu begrüßen.

Im Übrigen bestehen vergleichbare Probleme im Bereich von Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Einfuhr von Waren aus dem Drittland in die EU. Nach Art. 146 Abs. 1 Buchst. e) MwStSystRL gilt eine Befreiung auch für Logistikdienstleistungen, die im unmittelbaren Zusammenhang mit der Einfuhr von Gegenständen stehen. § 4 Nr. 3 a) bb) UStG spricht hingegen von Leistungen, die sich auf Gegenstände der Einfuhr beziehen – ohne dass es auf die Unmittelbarkeit ankommt. Wie im Bereich der Ausfuhr ist die Befreiung im Bereich der Einfuhr nach dem deutschen Gesetzeswortlaut insoweit also weiter gefasst als nach dem EU-Recht. Allerdings ist nach dem deutschen Recht weitere Voraussetzung, dass die Kosten in der Bemessungsgrundlage für die Einfuhrumsatzsteuer enthalten sind. Hierbei stellt sich wiederum die Frage, wie der Leistende diesen Nachweis erbringen kann.

Der Umgang mit der Steuerbefreiungsvorschrift für einfuhr- und ausfuhrbezogene Dienstleistungen bleibt insofern schwierig. Ob sich Unternehmen auf die neue EuGH-Rechtsprechung berufen sollten oder nicht, muss insofern einer Einzelfallprüfung vorbehalten bleiben.

Gerne stehen wir Ihnen für Rückfragen zur Verfügung und freuen uns über Ihre Kontaktaufnah­me.

 

Ihr Team der

umsatz | steuer | beratung

 

Norderstedt, Juli 2017

Dieser Beitrag ersetzt keine steuerliche Beratung und soll nur allgemein über steuerliche Themen informieren. Wir übernehmen daher keine Gewähr und somit keine Haftung für die Vollständigkeit und Aktualität sowie Richtigkeit der Inhalte.

 

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