Bruchteilsgemeinschaften sind doch Unternehmer – der Europäische Gerichtshof fängt den Bundesfinanzhof wieder ein.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte zu entscheiden, ob eine nach litauischem Zivilrecht nicht rechtsfähige Personengesellschaft Unternehmerin i. S. d. Umsatzsteuer sein kann. Der EuGH hat zwar aufgrund der Besonderheiten des Sachverhalts die Unternehmereigenschaft für die konkrete Personengesellschaft verneint, aber es ansonsten für möglich gehalten, dass zivilrechtlich nicht rechtsfähige Gebilde als Unternehmer fungieren können. Damit widerspricht der EuGH der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH).

1. Hintergrund

Der BFH hatte im Urteil vom 22. November 2018 überraschend entschieden, dass zivilrechtlich nicht rechtsfähige Bruchteilsgemeinschaften i. S. d. §§ 741 ff. BGB nicht Unternehmer i. S. d. Umsatzsteuergesetzes sein können. Begründet hat er diese – im Widerspruch zur Auffassung der Finanzverwaltung (vgl. z. B. Abschnitt 2.1 Abs. 2 S. 6 Umsatzsteuer-Anwendungserlass) stehende – Entscheidung damit, dass die Gemeinschaft unfähig ist, Träger von Rechten und Pflichten zu sein. Damit könne sie auch nicht Unternehmerin i. S. d. des Umsatzsteuergesetzes sein, da ansonsten z. B. Probleme bei der Beitreibung der Umsatzsteuerbeträge entstünden. Diese Einschätzung hat der 5. Senat des BFH in seiner Entscheidung vom 7. Mai 2020 – VR 1/18 zur Frage des Vorsteuerabzugs für ein Home-Office bestätigt.

Die Entscheidungen des BFH haben zu großen Irritationen geführt, da sie im Widerspruch zu einer jahrzehntelangen Praxis stehen. Insbesondere im Bereich des gemeinsamen Grundstückseigentums stellten sich Fragen zum Leistungserbringer und zur Vorsteuerabzugsberechtigung (vgl. hierzu unser Mandantenrundschreiben UMSATZSTEUER-AKTUELL 02/2019).

 

2. Entscheidung des EuGH

Die Generalanwältin stellt im Schluss­antrag wie auch der BFH die Unternehmereigenschaft unter die Bedin­gung der eigenen Rechtsfähigkeit nach der natio­nalen Rechtsordnung. Danach wäre die Bruchteilsgemeinschaft in Deutschland nicht unternehmerfähig, weil sie nach deutschem Zivilrecht nicht rechtsfähig ist. Diese Position kann schon deshalb nicht überzeugen, weil der EuGH wiederholt betont hat, dass das europäische Umsatz­steuerrecht einheitlich ausgelegt werden müsse und unabhängig von Gesetzen sein muss.

Mithin geht der EuGH in der vorliegenden Entscheidung vom 16. September 2020 – C-312/19, XT, hierauf auch weiter nicht ein. Stattdessen wendet er, seiner bisherigen Rechtsprechung folgend (z. B. Urteil vom 21. April 2005 – C-25/03, HE), die Grundsätze des Art. 9 der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie (MwStSystRL) an. Danach gilt als Steuerpflichtiger, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbständig ausübt. D. h. Unternehmer ist, wer:

  • im eigenen Namen und auf eigene Rechnung,
  • in eigener Verantwortung tätig wird und
  • das wirtschaftliche Risiko trägt.

 

Das Merkmal „auf eigene Rechnung“ wird im weiteren Verlauf relativiert, da entsprechend Art. 14 MwStSystRL auch ein Handeln auf fremde Rechnung ausreichend ist.

Im entschiedenen Fall hat das Gericht zwar gegen die Unternehmereigenschaft der nicht rechtsfähigen Personengesellschaft entschieden. Allerdings war dieses Ergebnis dadurch bedingt, dass die Gemeinschaft nicht gegenüber Dritten selbständig aufgetreten ist. Mithin lagen die Voraussetzung des Art. 9 MwStSystRL nicht vor.

 

3. Bewertung

Das Urteil des EuGH ist zu begrüßen, weil es die bisherige Handhabe in Deutschland und die Auffassung der deutschen Finanzverwaltung bestätigt.

Besondere Bedeutung kommt dem Tatbestand des Auftretens im eigenen Namen zu. Danach kann selbst ein Strohmann Unternehmer i. S. d. Umsatzsteuergesetzes sein (Abschnitt 2.1. Abs. 3 Satz 5 Umsatzsteuer-Anwendungserlass).

Soweit also die Mitglieder einer Bruchteilsgemeinschaft gemeinsam als Leistende gegenüber Dritten auftreten, sind sie entgegen der Auffassung des BFH gemeinsam ein umsatzsteuerlicher Unternehmer. Weil bislang weder das BFH-Urteil vom 22. November 2018 noch das Urteil zum Home-Office (Urteil vom 7. Mai 2020 – V R 1/18) im Bundessteuerblatt veröffentlicht wurde, ist davon auszugehen, dass die Finanzverwaltung diese abweichenden Urteile ohnehin nicht anwenden möchte. Es wäre dennoch wünschenswert, wenn die Finanzverwaltung das nunmehr vorliegende EuGH-Urteil zum Anlass nähme, klarstellend und in Abgrenzung zum BFH ein Schreiben zur Unternehmereigenschaft von Bruchteilsgemeinschaften i. S. d. Art. 9 MwStSystRL zu erlassen.

 

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Norderstedt, Januar 2021

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