Update zum Direktanspruch – FG Niedersachsen stärkt Position von Leistungsempfängern
Seit der Grundsatzentscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 15. März 2007 („Reemtsma-Urteil“) ist anerkannt, dass ein Leistungsempfänger zu Unrecht an den Leistenden gezahlte Umsatzsteuer unter bestimmten Voraussetzungen direkt vom Fiskus zurückverlangen kann (sog. Direktanspruch). Ein jüngst veröffentlichtes Urteil des Finanzgerichts Niedersachsen stärkt die Position von betroffenen Leistungsempfängern gegenüber dem Finanzamt.
1. Hintergrund
Wenn in einer Rechnung Umsatzsteuer ausgewiesen ist, wird sie grundsätzlich als Kaufpreisbestandteil für die bezogene Lieferung oder Leistung gegenüber dem Leistungserbringer geschuldet. Allerdings kann der Leistungsempfänger unter Beachtung der übrigen Voraussetzungen (korrekte Rechnung / keine allgemeinen Abzugsbeschränkungen) den Vorsteuerabzug nur dann geltend machen, wenn die Steuer zurecht ausgewiesen ist.
Eine zu hoch (falscher Steuersatz) oder zu Unrecht (Leistung nicht steuerbar oder steuerfrei, Leistungsempfänger Steuerschuldner gem. § 13b UStG) ausgewiesene Steuer kann hingegen nicht als Vorsteuer geltend gemacht werden. Hier muss sich der Leistungsempfänger mit dem Rechnungsaussteller auseinandersetzen und von diesem die Steuer zurückverlangen. Es handelt sich insoweit um einen zivilrechtlichen Anspruch gegen den Rechnungsaussteller / Leistungserbringer.
Wenn der Rechnungsaussteller / Leistende die Umsatzsteuer nicht erstattet (weil er nicht kann oder nicht will), ist das Neutralitätsprinzip der Umsatzsteuer nicht mehr gewahrt. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Fiskus die Steuer vom Leistenden / Rechnungsaussteller vereinnahmt hat, aber nicht an den Leistungsempfänger zu erstatten gedenkt.
Vor diesem Hintergrund hat der EuGH herausgearbeitet, dass unter strengen Voraussetzungen der Leistungsempfänger die Steuer vom Fiskus verlangen kann. Die Anforderungen sind neben der rechtsgrundlosen Umsatzsteuerzahlung insbesondere, dass die Durchsetzung des Rückzahlungsanspruchs gegenüber dem Leistenden unmöglich bzw. übermäßig erschwert ist.
Die Finanzverwaltung legt das Merkmal der Unmöglichkeit naturgemäß streng aus (BMF-Schreiben vom 12. April 2022). Die Voraussetzung ist insbesondere dann erfüllt, wenn der Rechnungsaussteller / Leistungserbringer infolge Insolvenz nicht mehr erstatten kann. Die bloße Zahlungsunfähigkeit im Sinne der Insolvenzordnung soll nicht ausreichen.
2. Urteil des FG Niedersachsen
Der Kläger empfing in den Jahren 2014-2016 Leistungen, zahlte an den Leistenden die ausgewiesene Umsatzsteuer und zog diese als Vorsteuer ab. Die Umsatzsteuer ist vom Leistenden ans Finanzamt abgeführt worden. Im Rahmen einer Betriebsprüfung in 2019 beim Kläger stellte sich dann heraus, dass keine Steuer hätte berechnet werden dürfen (Steuerschuldumkehr für Bauleistungen). Der Vorsteuerabzug wurde infolgedessen versagt.
Zwischenzeitlich war der Leistende wegen Vermögenslosigkeit aus dem Handelsregister gelöscht worden, weshalb sich der Kläger gegenüber dem FA später auf einen Direktanspruch berufen hat. Diesen lehnte das Finanzamt mit dem Argument ab, dass es sich vorliegend – anders als in den bereits vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fällen – um im Inland steuerbare und steuerpflichtige Leistungen handelt. Ferner sei der Anspruch gegen das Finanzamt akzessorisch zum Anspruch gegenüber dem Leistenden, wobei dieser Anspruch auf Rückforderung in 2020 bereits zivilrechtlich verjährt war.
Das FG Niedersachsen (Urteil vom 15. August 2024 – 5 K 40/22) bejahte hingegen den Direktanspruch zu Gunsten des Klägers im Billigkeitswege und begründet dies wie folgt:
- Der Anspruch war noch nicht verjährt. Dem Kläger wurde erst in 2019 bewusst, dass die Steuer zu Unrecht berechnet worden war. Fehlbeurteilungen der Steuerschuldumkehr in den sog. Bauträgerfällen sind ein entschuldbarer Irrtum, weil die Rechtslage hinreichend komplex ist.
- Die Durchsetzung des Rückzahlungsanspruchs war wegen der Vermögenslosigkeit unmöglich geworden.
- Es waren keine Anzeichen von Betrug, Missbrauch oder Fahrlässigkeit ersichtlich.
3. Bewertung
Das Urteil des FG Niedersachsen ist dem Grunde nach zu begrüßen, denn es stärkt die Position betroffener Leistungsempfänger gegenüber der Finanzverwaltung. Es trägt damit auch dem fundamentalen Neutralitätsgrundsatz im Umsatzsteuerrecht Rechnung.
Wie jedoch weitere Urteile der jüngeren Vergangenheit zeigen, ist eine Berufung auf den Direktanspruch kein Allheilmittel:
- Hat das Finanzamt die zu Unrecht ausgewiesene und abgeführte Umsatzsteuer bereits wieder an den Leistenden ausgekehrt, so scheidet eine weitere (Doppel-)Erstattung an den Leistungsempfänger aus (Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 5. September 2024 – C-83/23).
- Ein Direktanspruch scheitert ebenso wegen Fahrlässigkeit und treuwidrigem Verhalten, wenn der Leistungsempfänger im vollen Bewusstsein und Wissen über die Unrichtigkeit der ausgewiesenen Umsatzsteuer trotzdem an den Leistenden zahlt (Urteil des FG München vom 18. Juli 2024 – 14 K 247/23).
Eine sorgfältige Kontrolle von Eingangsrechnungen hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des Steuerausweises bleibt daher auch unter Berücksichtigung der positiven Rechtsprechung elementar. Nur in Ausnahmefällen ist die Geltendmachung der Steuer gegenüber dem Finanzamt gerechtfertigt und erfolgversprechend.
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Norderstedt, Februar 2025
Dieser Beitrag ersetzt keine steuerliche Beratung und soll nur allgemein über steuerliche Themen informieren. Wir übernehmen daher keine Gewähr und somit keine Haftung für die Vollständigkeit und Aktualität sowie Richtigkeit der Inhalte.
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