Umsatzsteuerpflicht von Aufsichtsratsvergütungen zweifelhaft
Ein aktuelles Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) wirft die Frage auf, ob Einnahmen aus der Tätigkeit als Aufsichtsrat als sonstige Leistung der Umsatzsteuer unterliegen – so lautet noch die Ansicht der deutschen Finanzverwaltung. Ob an dieser Auffassung festgehalten werden kann, ist vor dem Hintergrund des aktuellen EuGH-Urteils fraglich.
1. Bisherige Rechtslage
Einnahmen, die natürliche Personen aus der Tätigkeit als Aufsichtsratsmitglied beziehen, unterliegen als sonstige Leistung der Umsatzsteuer. Unerheblich ist, ob das Aufsichtsratsmitglied nach erfolgter Wahl, auf Grund eines Entsendungsrechts oder in seiner Eigenschaft als Arbeitnehmer dem Aufsichtsrat angehört. Nach Auffassung der Finanzverwaltung handelt es sich bei einem Aufsichtsrat um einen Unternehmer, weil er selbständig eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt.
Ausnahmen bestehen für Beamte und andere Bedienstete der öffentlichen Hand, die diese Tätigkeit auf Verlangen, Vorschlag oder Veranlassung ihres Dienstherrn übernommen haben und nach beamten- oder anderen dienstrechtlichen Vorschriften verpflichtet sind, die Vergütung ganz oder teilweise an den Dienstherrn abzuführen. Nach Auffassung der Finanzverwaltung fehlt es hier an der Selbständigkeit (vgl. Oberfinanzdirektion (OFD) Frankfurt am Main vom 4. Oktober 2013). Umsatzsteuer entsteht ferner nicht, wenn der Aufsichtsrat die Kleinunternehmerregelung nach § 19 Umsatzsteuergesetz (UStG) in Anspruch nehmen kann oder die Steuerbefreiung für ehrenamtliche Tätigkeiten (§ 4 Nr. 26 UStG) greift.
2. EuGH-Urteil und anhängiges BFH-Verfahren
In einem niederländischen Verfahren hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) über die Unternehmereigenschaft von Aufsichtsratsmitgliedern zu entscheiden (Urteil vom 13. Juni 2019 – C-420/18).
Der Kläger ist Mitglied eines Aufsichtsrats einer Stiftung. Aufgrund einer geänderten Auffassung der niederländischen Finanzverwaltung werden diese Vergütungen seit 2014 (anders als davor) der Umsatzsteuer unterworfen. Hiergegen hat der Aufsichtsrat geklagt.
Der EuGH stufte die Aufsichtsratstätigkeit des Klägers insgesamt als nicht unternehmerisch ein. Zwar bejahte er eine wirtschaftliche Tätigkeit (aufgrund der Absicht der Einnahmeerzielung), er verneinte aber die Selbständigkeit des Aufsichtsrats. Entscheidend sei diesbezüglich, ob die Tätigkeit im eigenen Namen, auf eigene Rechnung und in eigener Verantwortung ausgeübt wird und ob die Person das mit der Ausübung dieser Tätigkeiten einhergehende wirtschaftliche Risiko trägt. Dies war im vorliegenden Fall zu verneinen, weil das einzelne Mitglied nicht individuell handelt und auch nicht unmittelbar für Schäden infolge von Fehlverhalten haftbar gemacht werden konnte. Ein wirtschaftliches Risiko war aufgrund der Festvergütung ebenfalls nicht gegeben.
Vor dem Hintergrund dieses EuGH-Urteils ist die Entscheidung des Bundesfinanzhofs im Verfahren V R 62/16 mit Spannung zu erwarten. Hier geht es um die Frage, ob ein Aufsichtsratsmitglied einer Aktiengesellschaft, der Angestellter der Konzernmutter ist und in den Aufsichtsrat der Tochtergesellschaft entsandt wird, mit seiner Aufsichtsratstätigkeit umsatzsteuerrechtlicher Unternehmer ist. Das Mitglied beruft sich hierbei auf die o.g. Verfügung der OFD Frankfurt zu entsendeten Beamten; er sei insoweit in einer vergleichbaren Position, weil er die Aufsichtsratstätigkeit bei der Tochtergesellschaft im Rahmen seiner nichtselbstständigen Haupttätigkeit als leitender Angestellter bei der Konzernmutter ohne gesonderte Vergütung ausgeübt hat. Auch sei ein Unternehmerrisiko auszuschließen, weil er seine Vergütung aus dem Arbeitsvertrag mit der Konzernmutter bezog. Das Finanzgericht Münster bejahte dennoch die Unternehmereigenschaft, ließ aber ausdrücklich offen, inwieweit die OFD-Verfügung in Bezug auf die Sonderbehandlung von öffentlichen Bediensteten rechtlich haltbar ist.
3. Auswirkungen und Ausblick
Aufgrund des EuGH-Urteils dürfte an der bisherigen Einordnung von Aufsichtsräten als Unternehmer nicht mehr ohne weiteres bzw. uneingeschränkt festzuhalten sein. Möglicherweise ist nunmehr im Einzelfall zu prüfen, wie die rechtliche Stellung des Aufsichtsrats (innerhalb des Gremiums) ausgeprägt ist.
Kennzeichnend für den vom EuGH entschiedenen Fall war, dass der Aufsichtsrat allein keine Handlungen vornehmen kann, sondern nur das Gremium zu Beschlüssen mit Rechtswirkung in der Lage ist. Dies ist zwar für Aufsichtsräte typisch. Gem. § 116, 93 Aktiengesetz besteht aber für das Aufsichtsratsmitglied nach dem Prinzip der Gesamtverantwortung durch die Übernahme des Mandats bereits ein persönliches gesamtschuldnerisches Haftungsrisiko, wenn dem Gremium eine schuldhafte Pflichverletzung nachgewiesen wird. Ein weiterer relevanter Unterschied zwischen dem EuGH-Fall und der Praxis in Deutschland könnte darin zu sehen sein, dass Aufsichtsräte oftmals neben einer festen Vergütung auch ein teilnahmeabhängiges Sitzungsgeld erhalten.
Aus Sicht der Betroffenen ergeben sich bei einer Neuinterpretation die folgenden Konsequenzen:
- Sofern ein Aufsichtsrat seine Vergütung gegenüber einer nicht zum Vorsteuerabzug berechtigten juristischen Person abrechnet, würde die Verneinung der umsatzsteuerlichen Unternehmereigenschaft zu einer Kostenentlastung führen. Betroffene Aufsichtsräte sollten die Korrektur ihrer Rechnungen in Betracht ziehen, müssten aber zu viel berechnete Umsatzsteuer im Fall einer Nettovereinbarung an den Auftraggeber erstatten.
- Für die zum Vorsteuerabzug berechtigten Unternehmen ergäbe sich ein Vorsteuerrisiko, wobei im Hinblick auf bereits erbrachte Leistungen grundsätzlich ein Vertrauensschutz bestehen sollte. Für den Fall, dass der Vorsteuerabzug versagt wird, sollte mit den Aufsichtsräten eine Vereinbarung zur Rückzahlungsverpflichtung getroffen werden.
- Aufsichtsräte sehen sich grundsätzlich mit dem Risiko konfrontiert, mangels Unternehmereigenschaft zukünftig nicht mehr zum Vorsteuerabzug berechtigt zu sein.
Es wäre wünschenswert, wenn sich die Finanzverwaltung umgehend zu den Auswirkungen des EuGH-Urteils äußert.
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Norderstedt, Juni 2019
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