Der Bundesfinanzhof stürzt die Sollbesteuerung
In UMSATZSTEUER-AKTUELL 12/2018 hatten wir darüber berichtet, dass der Europäische Gerichtshof (EuGH) (etwas) an der Sollbesteuerung rüttelt. In der nunmehr ergangenen Nachfolgeentscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) gehen wir einen Schritt weiter und kommen zu dem Ergebnis, dass die strikte Sollbesteuerung der Vergangenheit angehören dürfte. Die Reaktion der Finanzverwaltung sowie die Auswirkungen für den Vorsteuerabzug bleiben abzuwarten.
1. Erste Schritte von der Soll- zur Ist-Besteuerung
Die Umsatzsteuer entsteht grundsätzlich nach vereinbarten Entgelten. Das heißt, die Steuer entsteht mit Ablauf des Voranmeldungszeitraumes, in dem die Leistung erbracht worden ist. Dies gilt auch für Teilleistungen. Der spätere Zeitpunkt der Bezahlung ist für das Entstehen der Umsatzsteuer irrelevant. Mithin muss der leistende Unternehmer die Umsatzsteuer häufig ans Finanzamt abführen, bevor er sie vom Leistungsempfänger erhalten hat.
Dieser strikten Bestimmung des Entstehungszeitpunktes ist der BFH durch seine Rechtsprechung zur Änderung der Bemessungsgrundlage nach § 17 Umsatzsteuergesetz entgegengetreten. Zu nennen ist das Urteil zum Sicherungseinbehalt in der Bauwirtschaft. Die Finanzverwaltung hat sich dieser Rechtsprechung nur unter Vorgabe von in der Praxis kaum erfüllbaren Voraussetzungen angeschlossen (Abschnitt 17.1 Abs. 5 Satz 3 Umsatzsteuer-Anwendungserlass (UStAE).
2. Aktuelle Entscheidung des BFH
Bereits in UMSATZSTEUER-AKTUELL 12/2018 hatten wir über eine Entscheidung des EuGH im Zusammenhang mit einem Vermittler für Fußballspieler berichtet. Der BFH hat nunmehr in seiner Nachfolgeentscheidung vom 26. Juni 2019 die Vorgaben des EuGH umgesetzt.
In dem zugrunde liegenden Fall hatte ein Unternehmer Fußballspieler an Profifußballvereine vermittelt. Die Vermittlungsleistung war mit dem Unterschreiben des Arbeitsvertrags abgeschlossen und die Umsatzsteuer wäre daher zu diesem Zeitpunkt grundsätzlich in voller Höhe entstanden. Die Vermittlungsprovision war allerdings erst ratierlich über einen Zeitraum von drei Jahren fällig. Die Zahlungen waren davon abhängig, dass der Spieler über den Drei-Jahres-Zeitraum beim Verein spielte.
Der BFH kommt zu dem Ergebnis, dass die Steuer nach dem deutschen Umsatzsteuergesetz im Zeitpunkt der Erbringung der Vermittlungsleistung entstanden ist. Nach Art. 64 der Mehrwertsteuersystem-Richtlinie (MwStSystRL) hingegen entsteht die Steuer für Lieferungen und Dienstleistungen, die zu aufeinanderfolgenden Abrechnungen oder Zahlungen Anlass geben, jeweils mit Ablauf des Zeitraums, auf den sich die Abrechnungen oder Zahlungen beziehen. Dieser Umstand ist im entschiedenen Fall zu berücksichtigen. Da sich der Vermittler direkt auf das für ihn günstigere Unionsrecht berufen kann, entsteht die Steuer erst mit Zahlung der jeweiligen Raten.
3. Auswirkungen auf die Praxis
Unseres Erachtens ist durch diese Rechtsprechung an der strikten Sollbesteuerung nicht mehr festzuhalten. Sämtliche Leistungsbeziehungen, die zeitlich verzögerte Zahlungen beinhalten, sollten dahingehend überprüft werden, ob die Umsatzsteuer gegenüber dem Finanzamt bereits fällig ist. Dabei ist das Tatbestandsmerkmal der EU-Richtlinie, ob Leistungen „zu aufeinanderfolgenden Abrechnungen oder Zahlungen Anlass geben“, zu prüfen. Der BFH wertet der Frage, ob es sich um eine aufschiebende oder auflösende Bedingung handelt, keine Bedeutung zu.
Sollte das Merkmal erfüllt sein, können sich Die Unternehmen zukünftig direkt auf das Unionsrecht berufen.
Ein wichtiger Anwendungsbereich dürfte – neben dem Fall der Vermittlungsprovision auf Erfolgsbasis – der Sicherungseinbehalt in der Bauwirtschaft darstellen. Dieser wird erst fällig, wenn der Einbehaltungszeitraum abgelaufen ist und keine Mängel am Bauwerk festgestellt werden. Anders als bislang kann also die Verschiebung der Steuerentstehung auf den Zeitpunkt der Vereinnahmung des Sicherheitseinbehalts nicht mehr davon abhängig gemacht werden, dass es dem Bauunternehmer nachweislich nicht gelungen ist, eine Bankbürgschaft zu stellen.
Aufgrund des Vorrangs von EU-Recht ist zu hoffen, dass die Finanzverwaltung nunmehr umgehend die anderslautenden Vorschriften überarbeitet.
Unseres Erachtens wirkt sich die Rechtsprechung auch auf den Zeitpunkt des Vorsteuerabzugs aus. Nach Art. 167 MwStSystRL entsteht das Recht auf Vorsteuerabzug, wenn der Anspruch auf die Umsatzsteuer entsteht. Wenn dieser Anspruch sich aber auf den Zeitpunkt der Zahlung verschiebt, sollte das Gleiche für den Vorsteuerabzug gelten.
Sollten Sie Fragen zu dem Thema haben oder eine Vertragsprüfung wünschen, stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.
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Norderstedt, August 2019
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