Fällt Online-Unterricht in den Anwendungsbereich des
Fernunterrichtsschutzgesetzes?
Gemäß § 4 Nr. 21 Umsatzsteuergesetz (UStG) sind Bildungsleistungen umsatzsteuerbefreit. Diese Befreiung soll auch für „Lehrgänge und Streaming-Angebote“ greifen, die unter das Fernunterrichtsschutzgesetz (FernUSG) fallen. Ein aktuelles Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH), welches sich mit der Reichweite des FernUSG beschäftigt, ist von Online-Anbietern unbedingt zu beachten.
1. Hintergrund
Bildungsleistungen sind von der Umsatzsteuer befreit. Nach dem Willen der Finanzverwaltung (vgl. Entwurf eines BMF-Schreibens vom 17. Januar 2025 zur Änderung des § 4 Nr. 21 UStG im Rahmen des JStG 2024) soll die Befreiung auch für „Lehrgänge und Streaming-Angebote greifen, die nach dem Fernunterrichtsschutzgesetz zugelassen sind“.
Fernunterricht versteht sich in diesem Zusammenhang als „die auf vertraglicher Grundlage erfolgende, entgeltliche Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten, bei der
- der Lehrende und der Lernende ausschließlich oder überwiegend räumlich getrennt sind und
- der Lehrende oder sein Beauftragter den Lernerfolg überwachen.“
Dem einen oder anderen wird das klassische Fernstudium, bei dem der Teilnehmer Lehrbriefe zum Selbststudium erhält und evtl. einzelne Veranstaltungen in Präsenz besucht bzw. Prüfungen vor Ort ablegt, als Inbegriff des Fernunterrichts ein Begriff sein. Im heutigen digitalen Zeitalter hat sich das Bild gewandelt und Lehrinhalte können sowohl synchron (Live-Streaming im virtuellen Klassenzimmer) und asynchron (Lehrvideos zum download) bereitgestellt werden.
Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass bloßer synchroner Online-Unterricht („Webinar“) nicht in den Anwendungsbereich des FernUSG fällt. Vielmehr erfordert das Kriterium der räumlichen Trennung eine asynchrone Unterrichtung, also die Bereitstellung von Inhalten zum Abruf, ohne dass die Lehrkraft zeitgleich aktiv ist.
2. Urteil des BGH vom 12. Juni 2025
Vor dem Bundesgerichtshof (Urteil vom 12. Juni 2025, Az. III ZR 109/24) stritten sich die Parteien über fünfstellige Zahlungsansprüche aus einem Online-Coaching-Vertrag („9-Monats-Business-Mentoring-Programm Finanzielle Fitness“). Das Angebot beinhaltete Lehrvideos, Hausaufgaben, Online-Meetings, Live-Calls und Einzelsitzungen. Die Online-Meetings und Live-Calls wurden aufgezeichnet und konnten von den Teilnehmern nachträglich abgerufen werden.
Der BGH kam zu dem Ergebnis, dass das Produkt in den Anwendungsbereich des FernUSG fällt. Und weil der Anbieter nicht über die notwendige Anerkennung der Zentralstelle für Fernunterricht verfügte, war der Vertrag nichtig. Der Kläger erhielt deshalb die Kursgebühr erstattet.
Bemerkenswert sind drei Feststellungen des Gerichts zur Anwendbarkeit und Reichweite des FernUSG:
- Online-Angebote können im Kontext des Kriteriums der räumlichen Trennung als Fernunterricht zu werten sein. Denn Online-Inhalte, die dem Teilnehmer ergänzend als Aufzeichnung zur Verfügung gestellt werden, sind als asynchron zu bewerten.
- Das Kriterium der Lernerfolgskontrolle kann bereits dann erfüllt sein, wenn Teilnehmende durch Rückfragen ihren Lernerfolg überprüfen können. Es sind also keine Prüfungen oder Tests notwendig.
- Das FernUSG findet – obwohl es als Verbraucherschutzgesetz fungiert – auch für unternehmerische Teilnehmer Anwendung.
3. Bewertung
Weil das Gesetz dem Schutz der Verbraucher vor unseriösen Angeboten dient, ist eine weite Auslegung zur Reichweite sicherlich zu begrüßen. Es ist insoweit auch verständlich und zeitgemäß, wenn Aufzeichnungen synchroner Bestandteile als asynchrone Anteile gewertet werden. Mit dem Kriterium der räumlichen Trennung sind zumindest bei wörtlicher Auslegung des Gesetzes sowohl synchrone als auch asynchrone Online-Angebote vereinbar.
Anbieter von Online-Bildungsprodukten sollten das Urteil des BGH zum Anlass für eine Überprüfung und evtl. Anpassung ihrer Angebote nehmen. Stellt sich ein Vertrag als nichtig heraus, weil die vom Gesetz geforderte Anerkennung durch die Zentralstelle für Fernunterricht fehlt, können unzufriedene Teilnehmer ihre geleisteten Teilnehmerentgelte leicht zurückfordern. Insofern müssen sich Anbieter überlegen, ob sie die Vorgaben des FernUSG irgendwie „umschiffen“ können oder eben erfüllen und damit auch eine Anerkennung erhalten können.
Die Auswirkungen auf die Umsatzsteuer sind aufgrund der Verweisung im Umsatzsteueranwendungserlass auf das Fernunterrichtsgesetz unverkennbar:
- „Freizeitkurse“ müssen von der Zentralstelle für Fernunterricht nicht anerkannt werden, sind aber anzeigepflichtig. Aufgrund des fehlenden Bildungscharakters („primäre Freizeitgestaltung“) kommt eine Befreiung nach § 4 Nr. 21 UStG nicht in Betracht.
- Bei anderen online-Angeboten ist zu prüfen, ob diese von der Finanzverwaltung als (interaktive) Bildungsleistung eingestuft werden oder als bloße digitale und somit nicht befreite Leistung (Verkauf aufgezeichneter Lehrvideos, Kombiprodukte aus Live-Stream und Aufzeichnung zum Einheitspreis) oder gar als Beratung ohne Bildungscharakter („Coaching“).
Die Befreiungen nach § 4 Nr. 21, 22 UStG sind für sich betrachtet bereits äußerst komplex. Durch das aktuelle BGH-Urteil hat sich die Komplexität weiter verstärkt.
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Norderstedt, Juli 2025
Dieser Beitrag ersetzt keine steuerliche Beratung und soll nur allgemein über steuerliche Themen informieren. Wir übernehmen daher keine Gewähr und somit keine Haftung für die Vollständigkeit und Aktualität sowie Richtigkeit der Inhalte.
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