Nachzahlungszinsen in einem Monat fällig – Allgemeinverfügung zum Zinsurteil des Bundesverfassungsgerichts

Viele Unternehmen haben aufgrund des beim Bundesverfassungsgericht anhängigen Verfahrens zur Höhe des Steuerzinses Einspruch gegen Zinsbescheide eingelegt und eine Aussetzung der Vollziehung erwirkt. Mit einer Allgemeinverfügung vom 29. November 2021 werden alle diese Einsprüche gegen Nachzahlungszinsen für Zeiträume bis zum 31. Dezember 2018 pauschal zurückgewiesen, so dass ausgesetzte Zinszahlungen voraussichtlich im Januar 2022 automatisch fällig werden.

1. Hintergrund

Infolge der beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eingereichten Beschwerde (1 BvR 2539/07) über die Verfassungsmäßigkeit des Zinssatzes für Steuernachzahlungen (6%) dürften in den letzten Jahren tausende von Einsprüchen gegen Zinsfestsetzungen bei deutschen Finanzämtern eingegangen sein. In vielen Fällen wurde darüber hinaus die Aussetzung der Vollziehung (AdV) beantragt, d. h. die Zinsen mussten vorerst nicht bezahlt werden.

Mit Beschluss vom 8. Juli 2021 hat das BVerfG zwar die Verfassungswidrigkeit des Zinssatzes für Verzinsungszeiträume ab dem 1. Januar 2014 bejaht, aber gleichzeitig eine sog. Fortgeltungsanordnung für Zeiträume bis zum 31. Dezember 2018 getroffen. Dies bedeutet, dass es für Verzinsungszeiträume bis inklusive 2018 unverändert beim Zinssatz von 6% bleibt.

Damit die Finanzämter nicht jeden Einzelfall abschlägig bescheiden müssen, darf die Ablehnung i. S. d. § 367 Abs. 2b AO durch eine Allgemeinverfügung erfolgen. Es handelt sich hierbei um eine besondere Form der Einspruchsentscheidung.

Von der Möglichkeit der Allgemeinverfügung haben die obersten Finanzbehörden der Länder auch im vorliegenden Fall Gebrauch gemacht. Mit Schreiben vom 29. November 2021 sind sämtliche Einsprüche, die die Frage der Verfassungsmäßigkeit von Nachzahlungszinsen für Verzinsungszeiträume bis 2018 betreffen, automatisch abgelehnt.

 

2. Folgen

Die Aussetzung der Vollziehung endet einen Monat nach Bekanntgabe der Allgemeinverfügung. Die Bekanntgabe hat im Bundessteuerblatt (Teil I) zu erfolgen. Wann dies der Fall sein wird, ist noch nicht klar – wir rechnen aber mit einer Veröffentlichung noch im Dezember 2021. Damit würden bislang ausgesetzte Zinsen für Zeiträume bis 2018 im Laufe des Januar 2022 fällig.

 

3. Bewertung

Die Finanzverwaltung bedient sich nur selten des Mittels der Allgemeinverfügung. Sie dürfte im vorliegenden Fall aber gerechtfertigt sein, weil andernfalls die Vielzahl der gewährten Aussetzung der Vollziehung für Steuerzinsen nur sukzessive hätte abgearbeitet werden können.

Ob die Finanzämter betroffene Steuerpflichtige gesondert anschreiben und auf die Fälligkeit der Zinsen hinweisen, ist nicht bekannt. Besteht eine Einzugsermächtigung, werden die Zinsen wohl abgebucht. Besteht kein Lastschriftmandat, müssen Steuerpflichtige selbst aktiv werden.

Überfällige Zahlungen werden von den Finanzämtern üblicherweise zeitnah angemahnt. Glücklicherweise fallen bei Fristüberschreitung keine weiteren Zinsen oder Säumniszuschläge an. Dennoch sollten ausgesetzte Zinsen im Laufe des Januars beglichen werden, um etwaige mit Mahnung angedrohte Vollstreckungsmaßnahmen abzuwenden.

Gegen die Allgemeinverfügung kann nur Klage vor dem Finanzgericht erhoben werden. Ein Einspruch ist ausgeschlossen, weil das Einspruchsverfahren durch die Allgemeinverfügung beendet wird. Die Klagefrist endet mit Ablauf eines Jahres nach dem Tag der Bekanntgabe. Nach unserer Einschätzung verspricht eine Klage derzeit allerdings keinen Erfolg – das BVerfG hat sich bekanntlich dezidiert mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit der Zinshöhe auseinandergesetzt und dem Gesetzgeber den Auftrag gegeben, bis Mitte nächsten Jahres eine neue Regelung zu treffen. Es müssten nun andere (gute) Gründe vorgebracht werden, um erfolgreich gegen die Zinsen i. H. v. 6% vorzugehen. Im Übrigen würde die Einreichung einer Klage keinen automatischen Zahlungsaufschub rechtfertigen.

 

4. Ausblick

Zu beachten ist, dass die Allgemeinverfügung keine Auswirkungen für Zinsen hat, die Verzinsungszeiträume nach dem 31. Dezember 2018 betreffen. Hier steht eine gesetzliche Neuregelung der Zinshöhe aus, bis auf weiteres hat daher eine bereits beantragte Aussetzung der Vollziehung Bestand.

Darüber hinaus ist auch zur Vollverzinsung der Umsatzsteuer im Speziellen noch nicht das letzte Wort gesprochen. Zinsen auf Umsatzsteuernachzahlungen könnten durchaus im Widerspruch mit dem unionsrechtlichen Neutralitätsprinzip stehen, weil die Umsatzsteuer für die Unternehmen grundsätzlich neutral sein soll (vgl. dazu das Urteil des Europäischen Gerichtshof vom 15. September 2019 in der Rs. Senatex). Das BVerfG musste sich mit dieser Frage nicht befassen, weil es in dem Verfahren nicht um Umsatzsteuer-, sondern um Gewerbesteuernachzahlungen ging. Insgesamt mehrt sich allerdings der Widerstand gegen die Vollverzinsung bei der Umsatzsteuer. Wir halten es daher für notwendig, dass diese Frage insbesondere für höhere Zinsforderungen gerichtlich geklärt wird.

Für Fragen zu diesem Thema und zur weiteren Vorgehensweise stehen wir Ihnen wie immer gerne zur Verfügung. 

 

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Ihr Team der

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Norderstedt, Dezember 2021

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