Umsatzsteuerliche Organschaft – Viel Wind um (fast) nichts?

In zwei Verfahren hat der Europäische Gerichtshof im Dezember zur umsatzsteuerlichen Organschaft entschieden. Während zwischenzeitlich die Hoffnung bzw. Sorge bestand, dass die deutsche Regelung komplett über den Haufen geworfen wird, wird sich nun erstmal nichts ändern. Das heißt aber nicht, dass alles gut ist.

1. Zur Erinnerung

Nach § 2 Umsatzsteuergesetz ist eine Gesellschaft als unselbständige Organgesellschaft zu behan­deln, wenn sie „nach dem Gesamtbild der tatsäch­lichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organ­trägers eingegliedert ist“. Die Vorschrift basiert auf Art. 11 der EU-Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie, wonach ein Mitgliedstaat „Personen, die zwar rechtlich unabhängig, aber durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind, zusammen als einen Steuerpflichtigen behandeln“ kann.

Die deutsche Regelung zur Organschaft sieht vor, dass die Organgesellschaften umsatzsteuerlich unselbständig sind und der Organträger (als ein Mitglied der Gruppe) zum Steuerpflichtigen für alle Umsätze der Mitglieder bestimmt wird. Der Wortlaut der EU-Vorschrift lässt hingegen vermuten, dass die Gruppe als solche als ein Steuerpflichtiger zu behandeln wäre. Die Zusammen­fassung mehrerer Unternehmen zu einer Mehrwertsteuergruppe impliziert also die Schaffung eines „fiktiven“ Steuerpflichtigen. Ferner lässt sich die Auffassung vertreten, dass die Eingliederungsvoraussetzungen im deutschen Recht zu streng sind.

Der Bundesfinanzhof hatte daher beim EuGH angefragt, ob die deutsche Regelung mit EU-Recht vereinbar ist.

 

2. Entscheidungen des EuGH

In beiden Entscheidungen vom 1. Dezember 2022 stellt der EuGH klar, dass ein Mitgliedstaat den Organträger zum Steuerpflichtigen für die Umsatzsteuer der gesamten Gruppe bestimmen kann. Begründet wird dies damit, dass die Organschaft eine Vereinfachung für die Steuerfestsetzung und -erhebung sei. Wer die Verpflichtung zur Abgabe von Erklärungen und zur Entrichtung der Steuer erfüllt, ist dann gleichgültig, sofern dieser Steuerpflichtige in der Lage ist, seinen Willen bei den anderen Gesellschaften der Gruppe durchzusetzen.

Hingegen kann für das Kriterium der finanziellen Eingliederung bei bestehender Mehrheitsbeteiligung nicht zusätzlich an eine Stimmrechtsmehrheit geknüpft werden. Denn dies lässt sich aus den Vorgaben der Mehrwertsteuersystemrichtlinie nicht ablesen.

Im zweiten Verfahren hat der EuGH darüber hinaus entschieden, dass die Organschaft auch den nichtwirtschaftlichen bzw. hoheitlichen Bereich des Organträgers umfasst. Dies ist insoweit von Interesse, als im hoheitlichen Bereich prinzipiell kein Recht auf Vorsteuerabzug besteht und die Nichtsteuerbarkeit der Innenleistung zu einer echten Kostenentlastung durch die Organschaft führt.

 

3. Bewertung und Ausblick

Wir sind von Anfang an nicht davon ausgegangen, dass der EuGH auf Grundlage der beiden Vorabentscheidungsersuchen die deutsche Organschaftsregelung komplett verwirft (vgl. Hierzu unser Mandantenrundschreiben 8/2020). Diese Vermutung hat sich letztlich bestätigt. Soweit umsatzsteuerliche Organschaften die Steuerfestsetzung in der Hoffnung auf eine komplette Erstattung der abgeführten Umsatzsteuer offen gehalten haben, kann bzw. muss hier „Entwarnung“ gegeben werden.

Im nächsten Schritt wird nun abzuwarten sein, wie der Bundesfinanzhof die Feststellungen des EuGH in den zu entscheidenden Verfahren umsetzt. Ein gewisser Klarstellungs- bzw. Anpassungsbedarf der Verwaltungsauffassung im Umsatzsteueranwendungserlass wird sich aber nicht vermeiden lassen. Zu hoffen ist, dass die Finanzverwaltung den Aspekt der Nichtsteuerbarkeit von Innenumsätzen nicht anfasst, obwohl die diesbezüglichen Ausführungen des EuGH etwas nebulös sind.

Ungeachtet all dieser Fragen ist darauf hinzuweisen, dass in der Wirtschaft nach wie vor die Auffassung besteht, dass die deutsche Regelungen zur Organschaft aufgrund der Unschärfen und der damit verbundenen umsatzsteuerlichen Risiken reformbedürftig sind. Die Vorschläge – z. B. in Form einer antragsgebundenen Organschaft – liegen schon lange auf dem Tisch, finden offenbar aber keinen Konsens. Insofern erfordert die umsatzsteuerliche Organschaft auch mit den aktuellen Klarstellungen des EuGH weiterhin ein waches Auge.

 

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Wir stehen für Fragen in diesem Zusammenhang wie immer gerne zur Verfügung.

An dieser Stelle möchten wir uns bei unseren treuen Leserinnen und Lesern bedanken! Wir wünschen Ihnen frohe Weihnachten und einen guten Rutsch in ein hoffentlich friedlicheres neues Jahr 2023.

 

Ihr Team der

umsatz | steuer | beratung

 

Norderstedt, Dezember 2022

Dieser Beitrag ersetzt keine steuerliche Beratung und soll nur allgemein über steuerliche Themen informieren. Wir übernehmen daher keine Gewähr und somit keine Haftung für die Vollständigkeit und Aktualität sowie Richtigkeit der Inhalte.

 

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